Der Arbeiter-Samariter-Bund und der Nationalsozialismus
Der ASB legt erstmals und 130 Jahre nach seiner Gründung eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zu seiner Geschichte im Nationalsozialismus vor. Die Forschungsergebnisse wurden heute Abend im Rahmen einer Buchpräsentation und Ausstellungseröffnung in Berlin in der Topographie des Terrors vorgestellt. Die Veranstaltung stieß auf enormes Interesse, der Saal war mit über 200 Gästen komplett belegt.
ASB-Bundesvorsitzender Knut Fleckenstein begründete in seiner Ansprache die Beauftragung des Forschungsprojektes: „Auch wenn der ASB 1933 verboten und als Institution aufgelöst wurde, hieß das ja nicht, dass die Samariter als Individuen aufhörten zu existieren. Was wurde aus den 52 000 Samaritern, den 1 200 approbierten ASB-Ärzten, den Masseuren, Pflegekräften, Kolonnen und den Erholungs- und Kindererholungsheimen nach der Auflösung des Arbeiter-Samariter-Bundes zum 1. September 1933 durch die Nationalsozialisten? Ausgehend von dieser Frage haben wir uns im September 2017 entschieden, den Auftrag für eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zur Genese des Verbots und zur Verbotszeit des ASB zu vergeben.“
Vom ASB-Bundesvorstand wurden Historiker der Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte (EBB) Alt Rehse e. V. mit der Forschung beauftragt. In Alt Rehse entstand ab 1934 die „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“. Bis 1941 diente das NS-Musterdorf in Mecklenburg der „weltanschaulichen Schulung“ von bis zu 12 000 Ärzten und anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Die Studie beleuchtet die regional sehr unterschiedlichen Schicksale der bedrängten Kolonnen. Mit der Auflösung zum 1. September 1933 war das Ringen des in der Arbeiterbewegung verwurzelten Verbandes um sein Fortbestehen formal beendet. Die Historiker folgten den höchst unterschiedlichen Wegen der Arbeitersamariter zwischen Verfolgung und Verstrickung bis 1945. Die Wiedergründung des ASB nach Kriegsende und die handelnden Personen werden betrachtet, Kontinuitäten und Brüche eingeordnet.
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas stellte in seinem Einführungsvortrag das Buch vor. Er sieht in den Forschungsergebnissen einen wichtigen ersten Schritt zur Aufarbeitung der Geschichte des ASB während des Nationalsozialismus. Die Untersuchung sei wegweisend, da sie erstmals die Zeit zwischen 1933 bis 1945 näher beleuchtet. Der gelungene Aufschlag mache deutlich, wie groß der Forschungsbedarf für den Arbeiter-Samariter-Bund nach wie vor sei.
Anschließend diskutierte ein hochkarätig besetztes Podium, moderiert von Sven Felix Kellerhoff, Leitender Redakteur für Zeitgeschichte bei der Welt, die Forschungsergebnisse. ASB-Präsident Franz Müntefering sieht die zentrale Bedeutung des Forschungsprojektes vor allem in dem Verständnis der Entwicklungen, die zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Ideologie der Nationalsozialisten geführt haben. Insbesondere die Analyse der Zwänge und Handlungsmöglichkeiten einfacher ASB-Mitglieder und Samariter seien für dieses Verständnis entscheidend. Dieser Auffassung schloss sich Prof. Dr. Frank Bajohr, Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien vom Institut für Zeitgeschichte, an. Das Buch stelle die Geschichte des ASB anhand der Biografien einzelner Mitglieder dar und analysiere die Organisation somit aus der Perspektive einfacher Samariter.
Das für die Historikerin Marthe Burfeind überraschendste Ergebnis ihrer Forschungsarbeit war die Disparität des Auflösungsprozesses des ASB. Die regional höchst unterschiedlichen Entwicklungen reichten von einem kompletten Verbot der Organisation bis hin zu einer angepassten Kontinuität der Verbandsaktivitäten. Dr. Nils Köhler, Leiter des Forschungsprojektes, wies auf die vielfältigen Forschungsstränge hin, die es weiterzuverfolgen gilt. Insbesondere die Kooperation von Opfern und Profiteuren des nationalsozialistischen Regimes gelte es weiter zu erforschen.
In seinem Ausblick machte Fleckenstein deutlich: „Wir sind heute mehr denn je aufgefordert, uns unserer Geschichte zu stellen, um Zukunft gemeinsam zu gestalten: um der Opfer willen und damit auch um unserer selbst willen. Wir tragen Verantwortung dafür, dass eine Zeit wie der Nationalsozialismus nicht wiederkehrt, dass sich antisemitisches und ausländerfeindliches Gedankengut in Deutschland nicht noch mehr verbreitet, als es zur Zeit schon der Fall ist.“
Das Buch »Der Arbeiter-Samariter-Bund und der Nationalsozialismus« ist hier beim Christoph Links Verlag erhältlich.