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Samariter der ersten Stunde

Wie alles begann …

Wir wagen eine Zeitreise in die Gründungsjahre des ASB. 1888 rufen sechs Berliner Zimmerleute erstmals zu einem Lehrkursus für Arbeiter auf - unter ihnen auch Gustav Dietrich. So könnte ein Interview mit dem Samariter der ersten Stunde und Gründungsvater des ASB verlaufen.

Herr Dietrich, was hat Sie dazu bewogen, sich für eine bessere Unfallversorgung nach Arbeitsunfällen einzusetzen?

Gustav Dietrich: Ich bin Zimmerpolier und habe in den letzten Jahren eine Reihe von schweren Arbeitsunfällen auf Baustellen erlebt. Besonders in Erinnerung ist mir ein Unfall in Erkner geblieben. Auf dem Gelände der märkischen Eiswerke stürzte beim Bau einer Lagerhalle eine 40 Meter lange Seitenwand ein und begrub mehrere meiner Kollegen unter sich.

Viele waren schwer verletzt und wir waren völlig hilflos, denn Verbandkästen hatten wir nicht. Auch für den Transport der Verunglückten war nichts vorhanden, allenfalls eine schnell ausgehangene Tür oder ein leerer Handkarren, mit deren Hilfe wir unsere Kollegen notdürftig zu einer der Sanitätswachen in der Stadt bringen konnten. Auch Ärzte waren schwer zu finden, denn viele behandelten uns Arbeiter nicht – sie haben Standesdünkel, denn wir Arbeiter gelten als nicht kaisertreu.
 
Sie und ihre Kollegen sind im November 1888 aktiv geworden. Was haben Sie unternommen?
Gustav Dietrich: Meine Kollegen Wilhelm Zippke, Hermann Neumann, August Laubsch, Wilhelm Nittat, Josef Schmidt und ich wollten uns diese Zustände nicht länger tatenlos mitansehen. Unsere Idee war, dass Arbeiter sich zukünftig eigenständig um die Versorgung von Verunglückten kümmern konnten.
Als Unterstützer gewannen wir Dr. Alfred Bernstein, der die medizinische Leitung des Erste-Hilfe-Kurses übernahm und Vorträge über die inneren Organe des menschlichen Körpers halten sollte. Doch der 30-jährige Mediziner überzeugte uns bald, dass all dies theoretische Wissen im Ernstfall unnütze wäre, wenn die Arbeiter nicht auch darin geschult werden, es praktisch zu verwerten. Deshalb erlernen die Teilnehmer unseres Lehrkursus nun auch, wie man Verbände anlegt, Blutungen stillt und Verunglückte richtig transportiert.

Wie war die Resonanz bisher?
Gustav Dietrich: Unser erster „Lehrkursus für Arbeiter über die Erste Hilfe bei Unglücksfällen“ fand am 29. November 1888 im Lokal Feuerstein in der Alten Jakobstraße statt. Mehr als 100 Arbeiter nahmen daran teil. Das war ein großer Erfolg und bestätigte uns darin, dass wir auf dem richtigen Weg waren.
Wie soll es nun weitergehen? Haben Sie Pläne für die Zukunft?
Gustav Dietrich: Im März 1889 ging der erste Lehrkursus zu Ende, doch das Interesse ist nach wie vor ungebrochen. Zu wünschen wäre es, dass jede Person sich mit der Sache befassen würde, da Unglücksfälle keinen Tag ausbleiben, auch diese Methoden in jedem Hausstand angewandt werden können.

Die Teilnehmer des ersten Kurses haben nun einen Verein gegründet, den „Lehrkursus der Berliner Arbeiter zur Ersten-Hilfe bei Unglücksfällen". Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und werden die Erste-Hilfe-Ausbildung der Berliner Arbeiter weiter voranzutreiben.
So oder so ähnlich, könnte ein Interview mit dem Berliner Zimmermann Gustav Dietrich, einem der Gründerväter des Arbeiter-Samariter-Bundes, verlaufen. Ende des 19. Jahrhunderts werden zahlreiche Arbeiter seine Ideen aufgreifen und Samariter-Kolonnen in Deutschland gründen. Aus ihrem freiwilligen Engagement zu helfen, entsteht im Laufe von 125 Jahren eine der größten Rettungs- und Hilfsorganisationen in Deutschland.

Marion Michels