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Interview

Was bringt die Ganztagsschule?

Immer mehr Schulen werden in Ganztagsschulen umgewandelt. Was bringt die Ganztagsbetreuung und was die Kooperation mit freien Trägern wie dem ASB? Ein Experten-Interview dazu führte der ASB mit Professor Dr. Stephan Maykus von der FH Osnabrück.

Der ASB ist als freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe an rund 230 Schulen im offenen Ganztag aktiv. Er gestaltet auf vielfältige Weise das pädagogische Angebot in der Ganztagsschule und in der verlässlichen Grundschule: vom Schulsanitätsdienst über Beratungs- und Präventionsangebote bis zur kompletten Ganztagsbetreuung. Die Ganztagsschule und ihre Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendhilfe erforscht Professor Dr. Stephan Maykus von der Fachhochschule Osnabrück. Der ASB interviewte den Experten zur Ganztagsschule.

Warum brauchen wir Ganztagsschulen in Deutschland?


Die Pisa-Ergebnisse haben ja gezeigt, dass Bildungserfolg stark mit den familiären und sozialen Bedingungen zusammenhängt und dass Schule allein nicht mehr in der Lage ist, das aufzufangen. Zumindest nicht der Schulbetrieb in halbtägiger Form, wie sie bei uns Tradition ist. Mit den Ganztagsschulen können wir intensiver und vor allem individuell fördern. Das ist der fachliche Anspruch. Dabei können wir auch Schüler erreichen, die solche Angebote sonst kaum erhalten würden. Und, wo nötig, einen Ausgleich zur Familie schaffen. Das war früher nicht möglich.

Ganztagsschulen sind sehr verschieden. Es gibt offene und gebundene Modelle. Wohin geht der Trend?


Bundesweit überwiegt die Einführung der offenen Modelle. Der Trend geht also bislang dahin, Betreuungsangebote für den Nachmittag einzuführen, zu denen sich Schüler freiwillig anmelden können. Das kann den gerade genannten fachlichen Anspruch durchaus einschränken: Denn beim offenen Modell bleibt der Unterricht häufig unverändert. So passiert es, dass am Nachmittag „einfach nur etwas drangehängt“ wird. Kritiker meinen deshalb auch, dass dies keine echte Ganztagsschule sei.

Welche Vorteile hat die gebundene Ganztagsschule?


Aus schulpädagogischer Sicht ist die gebundene Ganztagsschule zu bevorzugen. Sie ermöglicht es ganz anders, den Tag zu strukturieren. Denn alle Schüler sind verbindlich dabei. Die gebundenen Modelle sind allerdings, was die Kooperationspartner angeht, häufig nicht so vielfältig. In der gebundenen Ganztagsschule sind Lehrer viel stärker als in der offenen Ganztagsschule in die Durchführung der Ganztagsorganisation und -angebote eingebunden.

Was bringt es den Familien, wenn die offene Ganztagsschule die Jugendhilfe einbezieht?


Die offene Ganztagsschule ist, was Personal und Angebotsspektrum betrifft, die vielfältigere Schule. Denn sie holt auch sozialpädagogische Kompetenzen herein.
Jugendhilfepartner können sich im offenen Modell zum Beispiel mit Unterstützungs- und Beratungsangeboten besser einbringen. Von daher ist die offene Ganztagsschule die – im positiven Sinne – buntere Schule. Ein weiterer Vorteil der offenen Ganztagsschule ist, dass sie auch flexibler auf die Bedürfnisse der Eltern und Kinder eingehen kann. Sie kann ihre Angebote daran anpassen.

Welche Chancen ergeben sich für die freien Träger durch die Ganztagsschule?


Da zeigen sich momentan unterschiedliche Entwicklungen, die die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe im Zuge der Ganztagsschulentwicklung vergegenwärtigen: So ist es etwa für die Jugendhilfe neu, Erziehungshilfe in der Schule anzubieten – und nicht nur außerhalb. Erfahrungen zeigen, dass in solchen Angeboten die erzieherische Förderung in Kooperation gut funktioniert. Es ist für Träger wie den Arbeiter-Samariter-Bund eine große Chance, sich auf das Feld Ganztagsschule konzeptionell einzulassen, bisherige Angebote weiterzuentwickeln und schulbezogene Schnittstellen auszutarieren.

In der offenen Ganztagsschule arbeiten Lehrer und Sozialpädagogen zusammen. Welche Vorteile haben mulitprofessionelle Teams?


Der Vorteil ist zum Beispiel, dass das Kind im Schulalltag aus verschiedenen Blickwinkeln wahrgenommen wird. In einem multiprofessionellen Team begegnen sich unterschiedliche Berufsrollen. Ein Lehrer hat einen anderen Auftrag als ein Sozialpädagoge. Jede Berufsrolle neigt dazu, das Kind in Ausschnitten zu sehen.
Durch die Ganztagsschule und die multiprofessionellen Teams werden nun Lern- und Lebenswelten zusammengeführt. Bis dahin waren sie häufig getrennt. Die Herausforderung dabei ist, dies bewusst zu tun und Durchlässigkeiten zu schaffen.

Wo stehen wir heute in der Entwicklung der Ganztagsschule?


Also wenn man jetzt fast zehn Jahre zurückblickt, dann haben wir viel geschafft. Über 8.000 Schulen sind in dieser Zeit zu Ganztagsschulen ausgebaut worden. Wenn wir Ganztagsschule aber facettenreich weiterdenken und uns überlegen, was sie noch ausmachen könnte, dann haben wir die erste von mehreren Entwicklungsstufen erreicht. Sie bedürfen sowohl einer (sozial-) pädagogischen als auch einer sozial- und bildungspolitischen Forcierung.

Astrid Königstein