[ Navigation beginnen ]>>Navigation überspringen[ Navigation beenden ]
Wählen Sie bitte eine Kategorie aus
10 Jahre nach dem Tsunami

Erfolgreiche Bilanz der Hilfe

Am 26. Dezember erschütterte ein starkes Seebeben den indischen Ozean. Ein riesiger Tsunami mit Flutwellen von bis zu 40 Metern Höhe zerstörte weite Teile der Küsten Sri Lankas, Thailands, Indonesiens und Indiens.

Offiziellen Angaben zufolge starben mehr als 230.000 Menschen, 1,7 Millionen Menschen verloren ihr Zuhause, all Ihren Besitz und Ihre Einkommensgrundlage. Der ASB war damals sofort zur Stelle, leistete Nothilfe und beteiligte sich am Wiederaufbau.

Zehn Jahre nach der Naturkatastrophe ziehen zwei Experten, die die Hilfsmaßnahmen von Anfang an begleitet haben, Bilanz. Edith Wallmeier, Leiterin der ASB-Auslandshilfe, war schon vor zehn Jahren für die Koordination der ASB-Hilfe verantwortlich. Bernd Ilg, Projektkoordinator der ASB-Auslandshilfe, unterbrach damals seinen Weihnachtsurlaub, um so schnell wie möglich Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Am Beispiel der ASB-Hilfe in Sri Lanka erinnern sie sich an die Dimension der Katastrophe.

Der Tsunami brach am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 über Südostasien herein. Wann und wie haben Sie davon erfahren?

Bernd Ilg: Über Weihnachten war ich in Bremen bei Freunden und wir haben im Radio vom Tsunami gehört. Kurz danach waren alle Fernsehkanäle voll damit, der Tsunami war wohl die erste Naturkatastrophe über die beinahe in Echtzeit im Fernsehen berichtet wurde. Ich habe mich dann sofort mit den Kollegen in Verbindung gesetzt und weitere Infos per E-Mail erhalten und natürlich im Internet recherchiert. Ich hatte schon nach wenigen Stunden den Eindruck, dass die Dimensionen der Katastrophe gigantisch waren.

Was waren die ersten Maßnahmen, die Sie ergriffen haben?

Edith Wallmeier: Die ersten Maßnahmen haben natürlich die betroffenen Menschen selbst umgesetzt: Sie haben direkt nach dem Rückgang des Wassers Überlebende und Tote geborgen, Verletzte versorgt und nach Familienangehörigen und Freunden gesucht. Die ersten konkreten Maßnahmen des ASB waren die Versorgung der Betroffenen mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser sowie die Lieferung von Verbandsmaterialien an das Krankenhaus in Killinochchi.

James Martin mit dem Handy am Ohr

Den damaligen ASB-Einsatzleiter in Sri Lanka, James Martin, erreichte die Nachricht vom Tsunami auf dem Weg in den Urlaub. Anstelle von Ferien leitete er innerhalb von Stunden die ersten Hilfsmaßnahmen ein.

Foto: ASB/Hacky Hagemeyer

Warum konnte der ASB so schnell helfen?

Bernd Ilg: Der ASB unterhielt bereits seit 2002 ein Auslandsbüro im Norden Sri Lankas. Unser damaliger Büroleiter James Martin (seine Erinnerungen an die ersten Tage nach der Katastrophe lesen Sie hier) wurde auf dem Weg zum Flughafen in den Weihnachtsurlaub vom Tsunami überrascht. Aus diesem Urlaub wurde natürlich nichts. Aber so konnten wir sofort nach der Katastrophe erste Hilfsmaßnahmen umsetzen und weitere Hilfen planen.

Was brauchten die Menschen vor Ort am dringendsten und welche Hilfe hat der ASB auch in der Folge konkret geleistet?

Edith Wallmeier: Viele Menschen hatten ihr gesamtes Hab und Gut in den Wassermassen verloren. Neben der medizinischen Hilfe waren Notunterkünfte dringend erforderlich, aber auch Nahrungsmittel, Hygieneartikel, Kleidung etc. Viele Menschen waren traumatisiert und verstanden gar nicht, was passiert war. Psychosoziale Unterstützung sowie Aufklärung über das Phänomen Tsunami waren deshalb ebenfalls wichtig.

Bernd Ilg: Vor allem in der ersten Zeit nach dem Tsunami wurden aber auch Dinge gebraucht, an die man auf Anhieb nicht denken würde. So hatten viele vom Tsunami betroffenen Familien zum Beispiel keine Behältnisse, um ihre geretteten Habseligkeiten in die Flüchtlingslager zu transportieren und sicher zu verstauen. Wir haben daher Koffer beschafft und an die Menschen verteilt.

Sie haben Sri Lanka nach dem Tsunami regelmäßig besucht. Was war das eindrücklichste, das Sie erlebt haben?

Edith Wallmeier: Das waren sicher die Schicksale der einzelnen Familien im Norden Sri Lankas, die nicht nur vom Tsunami betroffen waren, sondern ja auch Jahre des Bürgerkriegs erlebt hatten. Ich habe Menschen getroffen, die aus Angst vor den Kampfhandlungen jede Nacht ihr Quartier woanders aufgeschlagen hatten und vor dem Tsunami zum ersten Mal in ihrem Leben etwas sesshaft geworden waren. Dieses war nun durch den Tsunami alles zerstört. Ich habe viele Kinder getroffen, die sich aus Angst vor Wasser nicht einmal mehr waschen konnten. Und ich weiß noch, dass ich keine einzige Familie getroffen habe, die keine Todesopfer zu beklagen hatte.

Bernd Ilg: Von meinem Besuch direkt im Anschluss an den Tsunami ist mir vor allem das riesige Ausmaß der Zerstörung in Erinnerung geblieben. Außerdem wurde mir damals sehr schnell klar, dass die betroffenen Menschen das Naturphänomen Tsunami überhaupt nicht einordnen konnten.  Hier in Deutschland wurde das Phänomen schon am zweiten Weihnachtstag im Fernsehen ausführlich erklärt. In Sri Lanka hingegen blühten die Gerüchte und die Erklärungen reichten von einer Strafe der Götter bis zur Zündung einer Atombombe durch die Taliban im Indischen Ozean.

Eine junge Mutter hält ein Baby auf dem Arm

Edith Wallmeier, Leiterin der ASB-Auslandshilfe erinnert sich, dass sie in Sri Lanka nach dem Tsunami keine einzige Familie traf, in der es keine Opfer gegeben hatte. Die Überlebenden fanden in Not- und Übergangsunterkünften Zuflucht und Hilfe.

Foto: ASB Sri Lanka

Der Tsunami war ein bis dahin einmaliges Ereignis, viele Organisationen und Menschen wollten sofort helfen. War das hilfreich oder eher hinderlich?

Edith Wallmeier: Das stimmt, die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung war riesig. Das hat uns sehr gefreut. Die Deutschen haben sehr hohe Summen an Geld gespendet. Dafür waren und sind wir sehr, sehr dankbar. Denn diese Spenden haben uns die Möglichkeit gegeben, schnell zu helfen, aber eben auch langfristig am Wiederaufbau mitzuarbeiten.

Bernd Ilg: Die Koordinierung im Katastrophengebiet durch sri lankische sowie tamilische Stellen und die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen lief recht schnell an. Der Zustrom an Hilfsorganisationen aus dem Ausland war enorm und es war gut zu sehen, wie groß die Hilfsbereitschaft war. Ab einem gewissen Punkt wurde diese große Hilfsbereitschaft aber auch kritisch, weil viele der Akteure sich über ihre Maßnahmen nicht abstimmten. Der ASB wurde damals von sehr, sehr vielen Menschen mit Spenden unterstützt. So konnten wir schnell und in koordinierter Weise vor Ort Hilfe leisten.

Wie hat sich das System der Internationalen Hilfe seitdem geändert? Welche Lehren wurden gezogen?

Bernd Ilg: Das System der Humanitären Hilfe hat sich seither nicht groß verändert. Schon damals war auch das US-Militär einer der Hauptakteure in der Nothilfephase. Ein gleichzeitiges Auftreten von Hilfsorganisationen und ausländischem Militär in Katastrophengebieten birgt immer die Gefahr, dass sich eine neutral zu leistende Nothilfe mit politisch motivierten Interventionen vermischt. Auch in Sri Lanka selbst wurden Wiederaufbauprojekte von religiösen und politisch motivierten Interessengruppen vereinnahmt oder sabotiert.

Der ASB hat für sich vor allem zwei Lehren aus den Erfahrungen nach dem Tsunami gezogen. Zum einen haben wir unsere Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen innerhalb des Aktionsbündnisses Aktion Deutschland Hilft kontinuierlich ausgebaut. Wir tragen so dazu bei, dass Ressourcen gebündelt werden. Das hilft uns dabei, Doppelungen von Maßnahmen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen möglichst schnell Hilfe erhalten.

Zum anderen hat der ASB in der Zwischenzeit eine Schnelleinsatzgruppe für Hilfseinsätze im Ausland aufgebaut, das First Assistance Samaritan Team (FAST). Dabei arbeiten ehrenamtliche Einsatzkräfte aus ASB-Gliederungen und Hauptamtliche des ASB-Bundesverbandes gemeinsam am Betrieb einer Wasseraufbereitungsanlage oder einer Basisgesundheitsstation. So war das FAST zum Beispiel nach Taifun Haiyan auf den Philippinen im Dezember 2013 oder nach dem schweren Hochwasser in Bosnien und Herzegowina im Mai dieses Jahres im Einsatz.

Edith Wallmeier: Was seither an Bedeutung gewonnen hat, auch in der Wahrnehmung nationaler und internationaler Geldgeber, ist der Stellenwert der Stärkung von potentiell durch Naturkatastrophen bedrohten Gesellschaften. Und zwar schon im Vorfeld solcher Katastrophen. Schlagwörter im internationalen Kontext sind hierbei „Katastrophenprävention"  und „Resilienzstärkung". Das heißt, dass wir dazu beitragen, Menschen besser auf mögliche Katastrophen vorzubereiten, so dass sie wissen, wie sie sich und anderen im Notfall helfen und retten können.

Die meisten Menschen starben, weil es keine Warnung gab oder sie nicht wussten wie man sich bei einem Tsunami verhält. Ist das heute anders?

Edith Wallmeier: Für den Indischen Ozean wurde mittlerweile, mit Beteiligung des Geoforschungszentrums in Potsdam, ein Tsunami-Frühwarnsystem aufgebaut. Die Herausforderung bei solchen Frühwarnung ist aber immer die sogenannte „letzte Meile", also sicherzustellen, dass die Warnung auch wirklich bei den Menschen an der Küste ankommt.  Der ASB hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte der Katastrophenprävention in Sri Lanka und Indonesien umgesetzt und so an der Optimierung dieser „letzten Meile" mitgearbeitet.

Bernd Ilg: Außerdem haben wir mit den Menschen in den bedrohten Regionen geübt, wie man sich nach dem Eintreffen einer solchen Frühwarnung verhalten sollte.  Die Menschen sind also besser vorbereitet und ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass hierdurch Menschenleben gerettet werden können.

Katastrophenprävention in Indonesien

In Indonesien begann nach dem Tsunami ein großangelegtes Katastrophenvorsorgeprogramm des ASB für Kinder an Schulen. Dabei steht neben dem Unterricht in Katastrophenprävention besonders die Inklusion von Kindern mit Behinderung in alle Katastrophenschutzmaßnahmen im Mittelpunkt. Mittlerweile wird das erfolgreiche Programm auch in zahlreichen anderen Ländern durchgeführt.

Ab Minute 37 zeigt der Film "Menschen, Murmeln und Modelle" eindrücklich die Arbeit des ASB in Sri Lanka nach dem Tsunami.